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Die extremen Fallwinde knickten grosse, starke Bäume um, als wären es Zündhölzer, und zerstörten ganze Wälder. Foto: Mischa Hauswirth

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 3 min.

Krisenmanagement eines Försters nach gewaltiger Zerstörung im Wald

Eine verheerende Gewitterfront veränderte Ende Juli das Leben im Nordwesten der Schweiz. In wenigen Minuten zerstörten apokalyptische Winde Häuser, Bäume und Wälder. Und für Förster Hubert Jenni begann die anstrengendste Zeit seines Lebens.

Mischa Hauswirth | Zehn Minuten lang klingelte sein Handy Sturm. Hubert Jenni, Förster von La Chaux-de-Fonds, weilte damals, am 24. Juli, im Baskenland in den Ferien. «Als ich sah, dass mich ganz unterschiedliche Leute dringend suchten, war mir klar: Es ist etwas Schlimmes passiert.» Dann erfuhr er: Ein heftiges Gewitter, eine Naturkatastrophe, war über seine Stadt und seinen Wald hinweggefegt. Die Stadt befand sich im Ausnahmezustand.

Wie schlimm die Folgen tatsächlich waren, erfuhr Jenni, nachdem er die Ferien unverzüglich abgebrochen hatte und sich auf dem Rückweg ins Westschweizer Hochplateau befand. Die 38 000-Einwohner-Stadt im Kanton Neuenburg sah aus, als wäre sie in kriegerische Handlungen verwickelt gewesen: Überall waren Bäume entwurzelt und umgestürzt oder abgerissen; Dächer waren abgedeckt; zerbrochene Ziegel lagen wie ein Teppich auf den Strassen; das Gewitter hatte Steine von Flachdächern und Holzstücke Geschossen gleich durch die Luft geschleudert.

Die Wetterfront mit ihren apokalyptischen Winden (vgl. Interview Seite 10) mit Geschwindigkeiten gegen 300 Kilometer pro Stunde hatte sich durch das Tal von
Le Locle und La Chaux-de-Fonds geschoben. Wochen später stecken Trümmerteile immer noch wie Mahnmale in der Fassade eines Hauses. Dass es «nur» einen Toten gegeben hat – ein umstürzender Baukran erschlug einen Mann in einem Auto –, gilt als Wunder.

Unbedingt Prioritäten setzen

Hubert Jenni erlebt seit jenem verhängnisvollen Julitag eine Ausnahmesituation. Im Bereich der Arbeitsorganisation; im Bereich der Krisenkommunikation; im Bereich Belastung für Körper und Psyche – nichts ist wie vorher. Doch er hat auch einiges gelernt und unter Beweis stellen können, wie er sagt. «Wichtig ist, schnelle und präzise Entscheidungen treffen zu können», so Hubert Jenni. «Es war zum Beispiel wichtig, rasch geeignete Lagerplätze für all das anfallende Holz zu finden. Für mich war sofort klar, dass wir das Holz nicht umschichten werden, sondern einmal anfassen und dann liegen lassen.» Es brauchte also Lagerplätze, auf denen das Holz auch den Winter durch bis zum Abtransport nächsten Frühling oder gar noch später verbleiben kann.

In der ersten Priorität mussten die Strassen freigesägt und die kreuz und quer herumliegenden Bäume und Baumteile aus den Pärken entfernt sowie die Zufahrten zu wichtigen Infrastrukturanlagen wie Reservoirs geöffnet werden. Jennis Team machte wochenlang nichts anderes. Und die Zeit drängte: «Am 14. August ging die Schule wieder los. Bis dahin mussten alle Gefahrenquellen rund um die Schulhäuser beseitigt sein», erzählt Hubert Jenni. «Wir konzentrieren uns bis heute vor allem auf die Strassen und die schrägen Bäume entlang von Verbindungs- und Zufahrtsstrassen.»

Hubert Jenni hat als Mitglied des regionalen Krisenstabes auch einiges in Sachen Kommunikation leisten müssen. Manchmal erhielt der Förster über 50 Anrufe an einem Tag. Sein
Fazit: «Es gilt, knapp und klar zu sagen, was aus fachlicher Sicht möglich ist und was nicht, und man muss sich auf die anstehenden Schritte konzentrieren. Zu viel auf einmal zu wollen, führt nur in ein Chaos.»

Um sich von den vielen Aufgaben, die auf ihn einprasselten, nicht erdrücken zu lassen, sorgte sich Hubert Jenni von Anfang an um seine Psychohygiene. «Ganz wichtig ist, abschalten zu können», sagt er.

Arbeitssicherheit wichtiger als alles andere

Als Hubert Jenni täglich «Hunderte von Gedanken zur Schadensbewältigung durch den Kopf» gingen, war er noch nicht einmal dazu gekommen, sich überhaupt eine Ahnung davon zu verschaffen, wie gross der Schaden im Wald ist. «Der Kanton entschied, auch die Wytweiden mit hoher Priorität zu behandeln.» Erst mehr als zwei Wochen nach den Downbursts kamen die Forstleute das erste Mal dazu, sich der Situation im Wald zuzuwenden. Mittels Helikopter und Drohnen und LIDAR-Vermessungen wurden die Löcher, die diese Fallwinde zwischen die Bäume gerissen hatten, vermessen.

Rasch zeigte sich: Zwischen Chaos und unbehelligtem Wald liegen oft nur wenige Meter. Und das Ausmass der Waldschäden ist enorm. Auch im September und Oktober liegen noch Bäume kreuz und quer im Wald, obwohl viele Forstunternehmer bereits mit Hochdruck dabei sind, die Schadflächen zu räumen. «Es ist wichtig, über ein möglichst breites Kontaktnetz zu Unternehmern zu verfügen. Unternehmer, von denen man weiss, dass sie sicher, qualitativ gut und effizient arbeiten», sagt Hubert Jenni.

Eine weitere Erkenntnis aus dem Krisenmanagement: Vollernter mit Prozessor sind nicht ideal, wenn die Schadflächen zu weit verstreut liegen. Zudem kommt ein Prozessor bei Stammdurchmessern über
50 Zentimetern an seine Grenzen. «Bewährt hat sich ein Forstschlepper mit Greifzange», sagt Hubert Jenni. «Damit lässt sich die
Arbeitssicherheit bei Windfällen am
besten gewährleisten.»

Apropos Arbeitssicherheit: Diese hat für den Förster immer oberste Priorität. Hektik sei gefährlich, sagt er. «Oftmals müssen wir zuerst Baumteile sowie schräge Bäume beseitigen, um mit den eigentlichen Fällarbeiten beginnen zu können», so Hubert Jenni. Die besondere Schulung der Forstfachleute im Umgang mit den Gefahren bei Windfällen sowie Teambesprechungen sind für Jenni
ein wichtiges Element, um das Gefahrenpotenzial möglichst klein zu halten.

Massive Defizite erwartet

Beim Besuch von WALD UND HOLZ im Schadensgebiet zeigt Hubert Jenni ein Waldstück oberhalb von Wohnblöcken am Stadtrand von La Chaux-de-Fonds. Das Unwetter hat die Stämme wie Zündhölzer geknickt oder umgeworfen. Vom ehemaligen geschlossenen Wald ist nichts mehr übrig. Während auf der nahen Weide noch Asträumungsarbeiten laufen und Rauch von einem Feuer aufsteigt, türmen sich meterhoch Stämme und Äste auf einem Parkplatz ganz in der Nähe. «Das ist lediglich das Material von der Weidenräumung», erzählt Hubert Jenni. «Im Wald haben wir noch gar nichts gemacht.»

Rund 40 000 Kubikmeter Schadholz müssen die Forstequipen irgendwie bewältigen. Einiges verkauft Hubert Jenni als Holz gegen Arbeit, will heissen: Ein Unternehmer
erhält das Holz aus der Fläche und kann es veräussern, wenn er die Aufräumarbeiten übernimmt. Alle Schäden bis kommenden Frühling aufzuarbeiten, werde nicht machbar sein, so viel sei sicher, wie Hubert Jenni sagt. Und mit jeder Woche zeigt sich auch das finanzielle Ausmass der Schäden für die Waldbesitzer immer deutlicher: Zwei Drittel des Holzes sind nur noch als Energieholz zu verkaufen, was einen deutlichen Wertverlust bedeutet. Hinzu kommen die teuren Aufräumarbeiten. Das alles wird tief-
rote Zahlen in den Bilanzen hinterlassen. Allfällige Folgekosten wie Waldverjüngungs- oder Wildschutzmassnahmen sind in den Folgekosten noch gar nicht miteingerechnet.

Der Bund und der Kanton Neuenburg haben 1,2 Millionen Franken für das Defizit der Waldbesitzer bereitgestellt. Doch mehr als 70 Prozent der Schadenssumme eines Waldbesitzers darf nicht gedeckt werden. Es ist deshalb jetzt schon klar, dass nicht alle Defizite aufgefangen werden können.

Beim Holzverkauf von diesem Schadholz, so rät Hubert Jenni, muss mit den Sägereien genau abgesprochen werden, was und in welchen Qualitäten sie abnehmen können. Wichtig sei zum Beispiel, Stellen mit Schäden im Holz konsequent rauszuschneiden. Was nicht in die Sägerei geht, komme ins Energieholz. Diese Vorgehensweise fördere das Vertrauen zwischen Käufer und Verkäufer und sei wichtig für die weitere Zusammenarbeit.

Traditionell erfolgt der Waldbau in diesem Gebiet nach dem Prinzip von Dauerwald, früher Plenterwald genannt. «Das erweist sich jetzt als Glücksfall», sagt Hubert Jenni, als er auf einer Weide steht und auf eine Gruppe von Tannen, Fichten und Buchen zeigt. Während die Fichten in der Oberschicht deutlich geneigt sind und gefällt werden müssen, werden Tannen und Buchen im Nebenbestand nun eine tragende Rolle übernehmen. «Ich habe keine Zweifel, dass die Natur, der Wald, sich regenerieren wird», sagt Jenni. «Aber ich mache mir Sorgen, was beim nächsten Wind oder bei einem starken Schneefall passieren wird. Denn dann werden weitere Bäume umfallen, da sie von diesem Extremgewitter schon angeschlagen und instabil sind.»

 

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