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Sie erobern seit rund 100 Jahren die Schweizer Wälder zurück und unterstützen mit ihrer Nahrungssuche die Biodiversität. Foto: unsplash

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Der schlaue Schwarzkittel tut dem Schweizer Wald richtig gut

Das Wildschwein hat seiner Ausrottung getrotzt und erobert seit Jahrzehnten die Wälder zurück. Die smarten Borstentiere bereiten der Forstwirtschaft dabei kaum Kopfzerbrechen, denn die positiven Einflüsse ihrer Anwesenheit auf den Wald überwiegen deutlich.

Sabine Vontobel* | Wenn man jemandem vorwirft, sich wie eine Wildsau zu benehmen, ist das selten als Kompliment gemeint. In der Umgangssprache beschwert man sich damit über rüpelhaftes, ja gar rücksichtsloses oder asoziales Verhalten. Das schlechte Image der Wildschweine entspricht nun aber so gar nicht der Realität. Ihr wenig liebliches Aussehen täuscht nämlich gewaltig. Die Tiere sind sehr sozial, verfügen über ein erstaunliches Gedächtnis, lernen unheimlich schnell, sind gewiefte Beobachter und haben sogar ein ausgeprägtes Zeitempfinden. Wildschweine erkennen beispielsweise, ob ein Mensch in friedlicher Absicht durch den Wald streift oder mit einem Gewehr unterwegs ist, und sie ignorieren uninteressante Spaziergänger, selbst wenn sie nur wenige Meter daneben liegen. So kommt es denn auch, dass man die nachtaktiven Tiere auf freier Wildbahn kaum je zu Gesicht bekommt. 

Trotzdem sind sie in der Schweiz weiterhin auf dem Vormarsch. Die Wiederbesiedelung durch Wildschweine hat vor ungefähr
100 Jahren aus Norden und Westen begonnen. Auch in die grösseren Alpentäler dringt das Schwarzwild heute immer weiter vor. Zudem wird das Tessin von Süden her besiedelt. «Die Bestände schwanken von Jahr zu Jahr, sowohl regional als auch schweizweit. Dies hängt erheblich mit den Nahrungsressourcen zusammen», sagt Andreas Boldt, Wildtierexperte bei Pro Natura. «Die Tiere profitieren insbesondere von den regional unterschiedlichen Mastjahren von Eichen und Buchen.» In besagten Jahren, in denen Eichen und Buchen besonders viele Früchte produzieren, freut sich der Schwarzkittel über einen reichlich gedeckten Tisch. Als Konsequenz kann die Population stark zunehmen, da auch schwächere Individuen den Nahrungsengpass im Winter überleben. Strassen, geschlossene Siedlungsgürtel und andere Infrastruktur hindern Wildschweine hingegen daran, bestimmte Gebiete zu erreichen. So seien etwa die Zentralschweiz oder Teile des Mittellandes unmittelbar südlich der A1 heute noch kaum Wildschwein-Gebiet. 

Sie räumen den Wald auf

Wildschweine sind im Wald äusserst nützlich, denn sie jagen nicht, sie suchen ihre Nahrung. Und genau das macht sie zu gewaltigen Teamplayern im Ökosystem Wald. «Wildschweine durchwühlen die oberen Schichten des Bodens und finden dort Insektenlarven, Schnecken, Mäuse, Wurzeln oder Pilze», erklärt Andreas Boldt. Dafür drehen sie auch mal liegende Baumstämme um oder zerlegen kurzerhand einen morschen Stamm, um an die Delikatessen zu gelangen. Sie fressen zudem die Larven von Forstschädlingen und dämmen Wühlmausplagen ein. «Die Tiere sorgen mit ihrer Art der Nahrungssuche für die Verbreitung von Pflanzensamen und Sporen, was der ökologischen Vielfalt zugute kommt.» Und: das intensive Wühlen verbessert die Durchlüftung und Durchmischung des Bodens sowie den Wasserhaushalt. Auch die natürliche Verjüngung wird gefördert, weil das Wühlen den dichten Bewuchs von Adlerfarn oder Gras entfernt. Wildschweine gehören damit zur aufräumwütigen Gesundheitspolizei des Waldes und machen als Allesfresser sogar vor Aas keinen Halt. 

Dieser schier unstillbare Hunger sorgt aber auch seit vielen Jahren für heisse Köpfe. Landwirte haben nämlich weniger Schwein als ein Waldstück, wenn sich eine Rotte in der Nähe ihrer Äcker niederlässt und sich an Mais oder Getreide gütlich tut oder auf der Suche nach Regenwürmern und Käferlarven sorglos ganze Wiesen, Weiden und Äcker durchpflügt. Für Wildschweinbestände gilt denn auch das Gleiche wie für alle anderen Wildtiere. «Wo die Tiere in unnatürlich hoher Dichte vorkommen und untragbare Schäden anrichten, ist eine Regulierung angebracht», sagt Boldt. Die jagdliche Regulierung sei indes nur eine Massnahme im Rahmen eines vollständigen Wildtiermanagements, betont er. Eine bessere Vernetzung der Lebensräume oder die Vermeidung von Störungen müssten ebenfalls dazu gehören.

Bejagung ist anspruchsvoll

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) betont die Wichtigkeit einer jagdlichen Regulierung ebenfalls. Da die Tiere sehr lernfähig und intelligent seien, gestalte sich ihre Bejagung jedoch ziemlich anspruchsvoll, schreibt das Amt auf Anfrage. Gemäss Bundesgesetz hat das Wildschwein eine Schonzeit vom 1. Februar bis 30. Juni. Über die konkreten Details der Wildschweinjagd bestimmen jeweils die Kantone. Es gibt keine einheitlichen Jagdzeiten oder -methoden für das Wildschwein. Oft sind zeitlich und räumlich differenzierte Kombinationen verschiedener Methoden notwendig. «Weil die Bestände jährlich stark schwanken, sind auch die Jagdstrecken unterschiedlich. In den letzten zehn Jahren wurden in der Schweiz jeweils zwischen 6000 und 12 000 Wildschweine erlegt», ergänzt Andreas Boldt.

Trotz den vielen positiven Einflüssen der Sauen auf den hiesigen Wald kommt es teilweise auch zu unliebsamen Vorfällen. Die massigen Tiere können Zäune aufdrücken, Rückgassen umpflügen oder Waldstrassenböschungen und Entwässerungsrinnen beschädigen. «Es können einzelne Bäume geschädigt werden, wenn sie als Malbäume benutzt werden. Dabei reiben sich die Tiere zur Fellpflege an den Baumstämmen», erklärt Boldt. 

Menschen mögen also im Dickicht vereinzelt auf Spuren der Waldtiere treffen, direkte Begegnungen sind allerdings sehr selten. «Wie alle Wildtiere, besonders bejagte, gehen auch Wildschweine dem Menschen lieber aus dem Weg. Es sind aber unbestritten sehr wehrhafte Tiere, die eine beeindruckende Grösse erreichen und Verletzungen verursachen können», so das BAFU. Dies vor allem, wenn sie in die Enge getrieben werden, verletzt sind oder Junge führen und diese in Gefahr sehen. «Ein respektvoller Abstand bei Sichtungen ist daher empfehlenswert.» Ähnliches sagt Andreas Boldt: «Grundlos greifen Wildschweine keinen Menschen an.» Bei Gefahr würden sie sich indes gebührend zur Wehr setzen. Deshalb sollten Spaziergänger, Jogger oder Nordic-Walker auf den Wegen bleiben, Störungen vermeiden, Hunde an der Leine führen und mit Sicherheit keine Wildtiere füttern. «Gerade Wildschweine gewöhnen sich an Futterquellen und können die Scheu vor dem Menschen verlieren.» 

Dass der Verlust von instinktiver oder erlernter Angst keine gute Sache ist, zeigen gelegentlich Bilder aus Deutschland, wo Wildschweine mitten in den Grossstädten in Parks oder Gärten leben, Abfallkübel durchwühlen und Spiel- oder Picknickplätze verwüsten. «Es gibt auch in der Schweiz Beispiele von einzelnen Rotten, die zumindest zeitweise in den Siedlungsraum vordringen. Es ist schwierig, zu sagen, ob dies ein allgemeiner Trend ist», so Andreas Boldt. Bisher seien solche Vorkommnisse jedenfalls eher selten.

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