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In Franken werden rund 300 Hektaren traditionell als Mittelwald bewirtschaftet. Eine hohe Holzausbeute ist dabei sekundär. Foto: zVg

ZeitschriftenLesezeit 2 min.

«Wirtschaftlich betrachtet ist der Mittelwald Nonsens»

Weil es mehr Energieholz braucht, kommt der Mittelwald als neue alte Bewirtschaftungsform ins Spiel. Die Idee: Die Unterschicht als Quelle für Energieholz, die Oberschicht für den Haus- oder Möbelbau. Doch Mittelwald ergibt nur aus ökologischer Sicht Sinn.

Mischa Hauswirth | Was Mittelwaldbewirtschaftung angeht, ist Rainer Fell ein alter Hase. Seit vielen Jahren betreut er als Stadtförster im fränkischen Iphofen (D) noch rund 300 Hektaren als Mittelwald. Dieser Wald wurde nicht im Zuge der Revitalisierung ehemaliger Wälder wiederbelebt, sondern war irgendwie schon immer Mittelwald. Sein Ursprung reicht in jene Epoche zurück, als die Bewirtschaftungsform Mittelwald weitverbreitet war in Mitteleuropa und vor allem zum Zwecke hatte, den hohen Brennholzbedarf der Bauernhöfe, Dörfer und Adelshäuser zu sichern und gleichzeitig die Nachfrage nach Bau- oder Schiffsholz zu befriedigen (siehe auch Artikel Seite XX). 

Beim Mittelwald sei die Ernte in der Hauschicht mit höherem Arbeitseinsatz und Kosten verbunden, da man die gesamte Hauschicht bis auf wenige Hegreiser – 50 Stück pro Hektar – rausholen müsse, erklärt Fell. Auch hochmechanisierte Lösungen würden den Mittelwald nicht günstiger machen. Deshalb lautet sein Fazit: «Wirtschaftlich betrachtet ist der Mittelwald Nonsens.»

Wenn im Hochwald Bäume gefällt und diese über die Rückegassen aus dem Bestand ganz 
auf die Wege zur Weiterverarbeitung herausgezogen werden können – inklusive der gesamten Krone –, seien die Erntekosten deutlich tiefer als im Mittelwald, sagt Fell.

Für ihn können für einen Vergleich von Hoch- und Mittelwald von den Zuwächsen her nur Laubholzflächen herangezogen werden. «Und hier lässt sich klar sagen: Die Zuwächse sind im Mittelwald geringer als im Hochwald», sagt Fell.

Ein anderer Förster, der in Deutschland Erfahrung mit Mittelwald hat, ist Markus Müller vom Stadtforstamt Freiburg im Breisgau (D). «Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle 30 Jahre Energieholz und darüber hinaus einige Oberhölzer nutzen, sehe ich zurzeit im Vergleich zum Energieholz-
anfall in einer Hochwaldbewirtschaftung mit mehreren Durchforstungen keinen signifikanten Unterschied, was die Gesamtproduktion an Biomasse betrifft», so Müller.

In Freiburg im Breisgau wurde 1999 ein Mittelwaldprojekt in einem von Stieleiche und Hainbuche geprägten 80- 170-jährigen Bestand lanciert, der bis in die 1920er-Jahre als Mittelwald bewirtschaftet wurde. Müller rechnet damit, dass 2029 auf dem damals 
1,8 Hektaren grossen Gebiet erstmals wieder Holz geschlagen werden kann, vornehmlich Energieholz, wie er betont.

Müller kann nicht ausschliessen, dass über einen längeren Zeitraum von mehreren Mittelwaldschlägen betrachtet, sich die Holzproduktion steigern lässt. «Denn aufgrund des Stockausschlagspotenzials solcher Flächen spricht die regelmässige Mittelwaldbewirtschaftung tendenziell für eine geringfügig höhere  Holzproduktion.»

Für Harald Bugmann, Professor für Waldökologie an der ETH in Zürich, ist die Frage, ob sich durch Mittelwald die Energieholzproduktion steigern liesse, falsch gestellt. Denn im Vergleich zu was, fragt er. «Im schlagweisen Hochwald fällt sicher viel weniger Energieholz pro Fläche an als im Mittelwald. So gesehen liesse sich mit Mittelwald die Energieholzproduktion sicher  steigern. Grundsätzlich kann man aber alles im Wald als Biomasse verheizen, theoretisch auch die stolzen Eichen-Überhälter aus dem Mittelwald. Aber das ist doch nicht das Ziel», sagt Bugmann.

Für ihn liegt die «höchste Priorität auf der Kaskaden-Nutzung des Holzes». Verbrannt werde vorzugsweise erst am Ende des Lebenszyklus, sagt er. «Explizit Energieholz produzieren wie im Mittel- oder gar im Niederwald ist kein eigentliches Ziel. Bei der Nutzung von Wertholz entsteht immer auch als – altmodisch gesagt – ‹Koppelprodukt› Energieholz, das heisst: Sortimente, die für nichts anderes zu gebrauchen sind.» 

Bugmann hält es für sinnvoller, statt auf vorhandenen, bereits bewirtschafteten Flächen Energieholz zu kultivieren, die weniger oder gar nicht bewirtschafteten Flächen in der Schweiz wieder oder stärker zu bewirtschaften. «Das würde das Angebot an einheimischem Wertholz steigern und auch zu mehr Energieholz führen», so Bugmann.

Die Ansicht, dass der Mittelwald weniger Holz produziert als der Hochwald, wie sie Rainer Fell formuliert, verlangt nach Bugmann einer Präzisierung: «Der Zuwachs der Oberschicht ist pro Fläche schlicht deshalb geringer, weil nicht genug Bäume da stehen und ein Teil des Zuwachses halt eben in die Hauschicht geht. Mir ist nicht bekannt, dass der Biomassen-Zuwachs pro Fläche – 
über alle Schichten – geringer wäre als 
im Hochwald.» 

Langer Zeithorizont für Umwandlung

Gemäss Erfahrungen, die mit den Mittelwald-Flächen von Iphofen gemacht werden, lässt sich die Hälfte des Vorrates in Stammholz, die andere Hälfte in Energieholz einteilen. Die Oberschicht besteht dort zu 
80 Prozent aus Eichen und zu 20 Prozent aus vielen anderen Laubholzarten wie Elsbeere, Speierling, Linde, Buche; die Hauschicht besteht vor allem aus Hainbuche, Feldahorn, Linde, Esche, Eiche und Hasel.

Ein Phänomen, das Fell immer wieder beobachtet: Die Stöcke für die Stockausschläge werden mit der Zeit älter, und 
ihre Vitalität verringert sich. «Unsere Erfahrung ist, dass nach sechsmal Auf-den-Stock-Setzen der Stock am Lebensende angekommen und für Naturverjüngung Sorge zu tragen ist», sagt Fell.

Bugmann weist darauf hin, dass «Naturverjüngung» ein Sammelbegriff ist, der sowohl Kernwüchse als auch Stockausschläge umfasst. In der Hauschicht des Mittelwaldes braucht es regelmässig auch Kernwüchse, damit die alten, nicht mehr vitalen Stöcke problemlos ihren Lebenszyklus beenden und ersetzt werden können. 

Auch Patrik Fouvy, Forstinspektor des Kantons Genf, winkt ab, wenn es um die Frage geht, ob sich die Mittelwaldbewirtschaftung als Instrument zur Energieholzsteigerung eignet. «Auf theoretischer Ebene lässt sich durch Mittel- oder Niederwald die Gesamtholzproduktion nicht steigern», sagt Fouvy. «Es besteht sogar die Gefahr, dass die Gesamtproduktion sinkt.» Vor allem aber finde eine Verlagerung der Holzproduktion von Nutzholz auf Energieholz statt. «Es handelt sich also um eine Massnahme, die den strategischen Zielen der kaskadenförmigen Aufwertung zuwiderläuft», so Fouvy.

Burden und Brennholz als Nischenprodukte 

In der Schweiz sind Förster ebenfalls wie in Deutschland seit Jahren dabei, die kulturhistorische Waldbewirtschaftungsform wiederzubeleben. Einer davon ist Köbi Schwarz, der den Staatswald Rheinau-Andelfingen betreut. Seit Anfang der 2000er-Jahre überführt er geeignete Bestände im Zürcher Weinland in die Mittelwaldbewirtschaftung. «Die Holzernte sollte aus meiner Sicht Sinn machen», so Schwarz. «Will heissen: Das geerntete Produkt muss entweder als Energiehackholz, als Brennholz oder als Burdenholz verwendet werden können.»

Für Burdenholz würden sich bereits kleine, armdicke Durchmesser eignen. Vom Gewicht her würden sich diese noch gut handhaben lassen, so Schwarz. «Das Hackholz sollte bereits etwas dicker sein, sodass es maschinell geerntet werden kann und die Schnitzelqualität nicht zu viel Feinanteil enthält.» Brennholz indes könne erst ab einem Brusthöhedurchmesser von 20 Zentimetern geerntet werden. «Bei Kernwüchsen dauert dies auf unseren mageren Böden für Burdenholz zirka 20 Jahre. Hackholz oder gar Brennholz braucht noch länger», 
sagt Schwarz.

Ein anderer Waldverantwortlicher, der in der Schweiz bereits Erfahrung hat mit Mittelwaldbewirtschaftung, ist Markus Lack, Förster von Allschwil (BL). Im grossen Erholungsgebiet westlich der Stadt Basel betreut Lack vier Hektaren Mittelwald, was zwei Prozent der gesamten Waldfläche im Forstrevier umfasst. 

Vor rund 15 Jahren habe man sich entschlossen, den Mittelwaldbetrieb aus kulturhistorischen Gründen und aus Gründen der Biodiversität aufzunehmen, erklärt Lack. Wie der Iphofener Stadtförster Rainer Fell ist Lack der Ansicht, dass es auf ertragsreichen Böden wenig Sinn macht, den Hochwaldbetrieb aufzugeben. 

Alle befragten Förster gehen von einer Überführungszeit zwischen 30 und 50 Jahren aus. Und was braucht es dazu noch ausser geeignete Wälder, wie zum Beispiel Waldlabkraut-Hainbuchenmischwälder? «Voraussetzungen sind primär Grundeigentümer, welche das unterstützen», sagt Lack. Auch muss dafür gesorgt sein, dass es Abnehmer für anfallendes Energieholz gibt. Auch die Abgabe von Brenn- oder Burdenholz sei eine Absatzmöglichkeit.

Eichen in der Oberschicht am besten 

Förster Markus Lack sagt auch, dass die Umwandlung einer Waldfläche in den Mittelwaldbetrieb mit waldbaulichen Schwierigkeiten verknüpft ist, da Bäume auf das plötzliche und grosszügige Freistellen mit einer starken Astbildung reagieren können oder es sogar zur Schädigung der Rinde kommen kann, wenn diese stark dem Sonnenlicht ausgesetzt wird. «Wir öffneten die Oberschicht langsam und in mehreren Schritten, damit sich die Bäume an die Situation gewöhnen konnten», sagt Lack. 

Für Fouvy spielt weiter eine Rolle, welche Bäume in der Oberschicht stehen. Sonnenbrand habe man keinen festgestellt, sagt er, aber das liege daran, dass überwiegend mit Eichen gearbeitet wurde, deren Rinde wenig anfällig für Sonnenbrand sind. Bei Buchenbeständen wäre das sicherlich anders, so Fouvy. Bei der Schaffung von lichtem und sehr lichtem Hochwald (dessen Struktur dem Mittelwald sehr nahekommt) sei festgestellt worden, dass stark freigestellte oder belichtete Bäume negative Reaktionen zeigten, die zu einer Qualitätsminderung des Nutzholzes führten, so Fouvy.

Gut für die Artenvielfalt im Wald

Einen bestimmten Punkt dürfen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer bei einem Mittelwald-Projekt nicht vernachlässigen: «Die Information der Bevölkerung ist wichtig», sagt Lack.

Dass Förster hier einiges an Zeit und Infomaterial investieren müssen, bestätigt auch Tessa Hegetschweiler, die bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) untersucht hat, wie die Bevölkerung auf die augenfällige Entfernung der Hauschicht reagiert. «Im Prinzip haben die Mittelwaldflächen den Leuten am wenigsten gut gefallen, im Vergleich zum Dauerwald und zum schlagweisen Hochwald», so Hegetschweiler. «Vor allem die Fläche, bei der die Hauschicht kürzlich auf den Stock gesetzt wurde, missfiel den Waldbesucherinnen und Waldbesuchern.» Kritisiert worden sei etwa der mangelnde Schatten, dass es ein Zuviel an Veränderung im Wald gebe oder zu wenig Informationen in Bezug auf den Holzschlag vorhanden seien, sagt Hegetschweiler.

Die Öffentlichkeitsarbeit habe bei einem Mittelwald-Projekt grosse Wichtigkeit, sagt auch Harald Bugmann. Das zeige das Mittelwald-Projekt von Grün Stadt Zürich und der ETH Zürich auf dem Hönggerberg bei Zürich. Dieses Projekt läuft schon seit vielen Jahrzehnten. «Aufgrund der guten Information der Bevölkerung, mit Infotafeln am Wegrand, wird dieser Mittelwald gut akzeptiert», sagt Bugmann.

Es sind vor allem die ökologischen Aspekte, welche den Mittelwald als mögliche Bewirtschaftungsform immer wieder ins Spiel bringen. Für Pro Natura steht denn auch nicht die Energieholzeffizienz im Zentrum der Betrachtung, sondern der ökologische Nutzen dieser Bewirtschaftungsform. «Die Überhälter – in der traditionellen Bewirtschaftung häufig Eiche – bilden grosse Kronen aus, die von viel direktem Licht profitieren», sagt Lesly Helbling, Projektleiterin Schutzgebiete und Waldbiodiversität bei Pro Natura. «Es entsteht ein Lebensraum, wie ihn licht- und wärmeliebende Arten mögen. Auch die Hauschicht kann für gewisse Arten, beispielsweise bestimmte Tagfalter, einen Lebensraum bieten und damit ökologisch wertvoll sein.»

Für die Umweltschutzorganisation stehen andere Massnahmen im Vordergrund als Energieholzproduktionssteigerung, um der Energiekrise zu begegnen. «Einerseits ist es höchste Zeit, unseren Energieverbrauch deutlich zu senken und so ganz generell den Bedarf an Energieträgern zu reduzieren. Andererseits ist es angezeigt, Holz konsequent nach dem Prinzip der Kaskadennutzung zu verwenden», so Helbling. Holz als Brennstoff stehe erst am 
Schluss einer Reihe unterschiedlicher 
Nutzungsformen.

 

KLEINES GLOSSAR ZU DEN BEWIRTSCHAFTUNGSFORMEN

Hochwald: Eine Wald­form, bei der die einzelnen Stämme nur aus Kernwüchsen (Samen) entstehen.

Mittelwald: Es handelt sich um eine historische Waldbauform. Rund alle 20 - 30 Jahre wird die Hauschicht ganz entfernt (siehe Bild links). Die Oberschicht (Oberständer) bleiben stehen und dienen für Nutzholz.

Niederwald: Im Niederwald erfolgt die Verjüngung ausschliesslich über Stockausschlag. Anwendung nur noch selten auf schwachwüchsigen Böden mit Fokus auf reine Energieholzproduktion.

Hauschicht: Unter meist breitkronigen Eichen wächst im Mittelwald eine Schicht aus Stockausschlägen. Diese werden in regelmässigen Abständen für Energieholz geerntet (klassisch meist Brennholz).

Oberständer: Bäume aus Kernwüchsen in der Oberschicht. Die Umtriebszeit liegt bei Eichen bei rund 200 Jahren.

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